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Wildes Plakatieren ist kein neues Berliner Phänomen

Ein Herr Litfaß aus Berlin, machte sich um 1854 (laut Wikipedia.de) Gedanken über Außen-Werbung. Wohl auch als zusätzliche Einnahmequelle (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme) für Druckereien und um der wilden Plakatierung entgegenzuwirken. Zu seiner Ehre wurde dieses frühe Stadtmöbel Litfaßsäule benannt. Das erste Exemplar, ein Jahr später, in Berlin aufgestellt. Dieses Teil war sofort sehr erfolgreich. Hätte man es nicht schon erfunden, so hätte man es erfinden müssen.

Litfaßsäulen sollten, allen Leuten in der Stadt, schnell ins Auge fallen und möglichst an verkehrsreichen Orten aufgestellt werden. Plakate, aus dieser Zeit, sind bis heute Vorbild für Kreative aus allen Branchen. Ob digital, analog oder hausgemacht — für alles gilt — ohne Öffentlichkeit is nix mit Lob/Erfolg/Bekanntheit.
 

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Litfaßsäule seit 1855

 

Kostenlose Informationen für alle

Die Litfaßsäule (Werbesäule, Plakatsäule, Anschlagsäule) ist bis heute — an Orten aufgestellt, wo echt was los ist — sehr beliebt und wird als Selbstverständlichkeit im öffentlichen Raum angenommen/wahrgenommen. Sowohl für bezahlte Werbung, wohltätige Kulturveranstaltungshinweise und amtliche Bekanntmachungen regelmäßig benutzt.

Ohne Internetanschluss, kein Mobilfunkvertrag, keine Abofalle, freie Zugänglichkeit ohne Altersbegrenzung, kein Passwort … Ohne Ton/Dauerbeschallung, und wer nicht will, schaut einfach nicht hin. Eine demokratische Litfaßsäule. Geradezu vorbildlich für zukünftige Gesellschaftsutopien, denke ich. Oder doch lieber nicht.

Manchmal auch illegal beklebt: „Wellesüttisch auses Küchenfenzder gepfligt. Hörde Aufnahme Sushi. Hatt dray schwarse Bünktschens ufdie Latz unn isch naches Büdewaser imer seer jelblintgriin. Geggen Pelohnung abzugebbe bai …“

Manchmal auch aus der Not heraus bekritzelt: „‚Mausi, ick liebe dir janz dolle!‘ Dein Hasi“ oder „Rufe mich an: …“ oder (nur ein Zitat) „Ficken? Um 21:45 Uhr hier! Jeden Mittwoch.“ Ja — ich weiß, das sind die Klassiker, die auch an anderen Orten (Örtchens) auftauchen.

Nie wieder Krieg!

Einer der zeitgeschichtlich bedeutenden „Großeinsätze“ für die Litfaßsäule — möchte nur diesen erwähnen — war damals die Mobilmachung zum Ersten Weltkrieg. Und Wellensittische wurden als „Alarmmelder“ für Gasangriffe regelmäßig und viel gebraucht. Andere Piepmätze (Federvieh) ebenso. Wenn es plötzlich ruhig im Raum wurde und/oder der Vogel von der Stange fiel und dabei irgendwie leblos wirkte, so sollte man schnell zur „Volksgasmaske“ greifen … Wer das noch konnte, war also noch nicht vergast worden und am Leben. Das tote Vögelchen wurde baldigst ausgetauscht.

Dieses größenwahnsinnige, grausame, verabscheuungswürdige Massaker — im Namen irgend einer „Ehre“ — von 1914 bis 1918 (in Europa, dem Nahen Osten, in Afrika, Ostasien und auf den Weltmeeren, laut Wikipedia.de), hat die Litfaßsäule ebenso „überlebt“, wie die anderen nicht weniger barbarischen gesellschaftlichen Veränderungen danach.
 

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iGude, das Original aus der i-shop@Werkstatt

 

Agitation und Propaganda

135 Jahre nachdem die erste Litfaßsäule in Berlin aufgestellt wurde, plakatierte die damals amtierende Partei- und Staatsführung den Jahrestag zur Gründung des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates am selben Ort. Berlin. Das Motto: „40 Jahre Deutsche Demokratische Republik (DDR) — alles zum Wohle der Bevölkerung und für den Frieden — mach mit!“ wurde auch auf Litfaßsäulen den Arbeitern und Bauern in Erinnerung gebracht. Obwohl diese das in den Schaufenstern des „Konsum“ (Konsumgenossenschaft) und der volkseigenen „Kaufhalle“ täglich vorgeführt bekamen: Weißkohl, Rotkohl und Mohrrüben gab es wirklich 40 Jahre durchgehend.

Das kann ich bezeugen. Ich war dabei!

Das waren nicht nur unverkäufliche „Beratungsmuster“ wie Kühlschrank, Waschmaschine … Das war real. Real existierender Staatssozialismus/Volksbeschissmus. Und daran war nicht alles schlecht, wie oft behauptet wird, denn es gab Weißkohl, Rotkohl und Mohrrüben 40 Jahre lang durchgehend. Jedenfalls in Berlin, der Hauptstadt der DDR. Im Rest der Ostzone konnten Weißkohl, Rotkohl und Mohrrüben nicht 40 Jahre durchgehend gesichtet/garantiert werden.

Sogar kaufen durfte man das Zeugs dann, in einer Schlange wartend, auch ohne Parteibuch oder IM-Status. IM ist ein Mensch, der andere Menschen belauscht und — noch altmodisch ohne Computer, Mobiltelefon, Soziales Netzwerk, Geolokation — diese Lauschangriffe mühsam auf Papier, oder Tonband-Kassette an seinen Vorgesetzten IM-Gruppenführer weiterreichen/petzen wollte/musste. Ein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Staatssicherheitsdienstes (STASI) der DDR war mit Geld, Erpressung und/oder Überzeugung auf der Lauer den Klassenfeind immer und überall zu bekämpfen.

Beliebte IM-Opfer waren Freunde

Auch gerne die eigene Familie, Arbeitskollegen, Gartennachbarn, Urlaubsbekanntschaften, Frisöre und andere, die sich mit Wort und/oder Tat und/oder durch „Westverwandtschaft“ und/oder „Westpakete“ verdächtig machten und/oder machen könnten.

Prima Klima war das also. Alle hielten ganz toll zusammen. Wir waren so jung. Und am Schönsten waren die Weihnachtsfeiern mit der sozialistischen Brigade. Dort gab es nämlich auch Südfrüchte, auf Zuteilung, denn es sollte ja jeder brave Genosse eine Apfelsine abbekommen. Oder eine Banane. Aber nicht beides!

Das motivierte dann alle Arbeiter und Bauern für ein Jahr ganz dolle: „Mein Arbeitsplatz ist mein Kampfplatz für den Frieden!“ oder „133,88 % Planerfüllung — Ich bin dabei!“ oder „Meine Hand für mein Produkt!“. Autsch.

Und die vielen IMse kamen mit dem „Notizen machen“ gar nicht hinterher. Das bedeutete aber auch immer Urlaubssperre für die Freunde und/oder Mitarbeiter der staatseigenen Firma VEB (Volkseigener Betrieb) „Horch & Guck“. Der Weihnachtsmann hatte auch eine fette eigene Akte beim Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik.

Die glaubten wirklich ganz fest an diesen Konterrevolutionär. Schon die Berufskleidung war eine Provokation. Westliche Dekadenz. Das Rot der Verkleidung/Vermummung kam dem Rot der, mit dem Blut der Arbeiterklasse getränkten, Arbeiterfahne dann doch auch wirklich zu nahe. Was für ein Elend.
 

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„Die Rente ist sicher! Ja, aber nur für Herrn Blüm.“

 

Es gibt Hoffnung im Überfluss

Nur hatten diese — im real existierenden sozialistischen Alltag geschulten/erprobten sozialistischen, auf hoher Stufe hin zum Kommunismus entwickelten, Persönlichkeiten — inzwischen mit den „Wir sind das Volk“-Demonstrationen anderes im Sinn und zu tun, als mit Fähnchen (von der FDJ, der Freien Deutschen Jugend, der Kaderschmiede dar Partei kostenlos zur Verfügung gestellt) an einer Tribüne — krachend voll mit seltsamen alten Halunken — lustig winkend vorbei-zu-huldigen.

Und weniger barbarisch — was für ein Glück — ging es dann mit der Diktatur des Proletariats 1989 auch schnell zu Ende. Und das war auch gut so. Wurde aber auch Zeit. Was ist eigentlich aus der „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ geworden? Davon redet heute auch keiner mehr. War damals schon immer ein Phantom/Placebo.

Wendehals — klingt mir zu niedlich

Das von der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, durch Zwangsvereinigung mit der SPD und KPD, im sowjetischen Sektor entstanden ↔ Vorgängerin der PDS, der Partei des Demokratischen Sozialismus ↔ heute in „Die Linke“ aufgegangen und zur Zeit noch aktiv tätig) ausgerufene Motto: „Alles zum Wohle der Bevölkerung und für den Frieden!“ wurde friedlich in die Tat umgesetzt. Toll.

Und historisch gesehen, ein wenig Zufall war schon dabei. Ich sage/schreibe hier nur „unverzüglich/sofort“ sollten die Grenzen geöffnet werden. Diese Äußerung des damaligen DDR-Sprechers — vor laufenden Kameras, international und live — überraschte die verhasste Politmeute tatsächlich im Suff — äh, sagen wir mal Schlaf.

Litfaß und die Typografie

Nein. Es muss nicht „Litfasssäule“ geschrieben werden. Der Herr hieß zu diesen Zeiten — als von der neuen deutschen Rechtschreibung und deren Reformen noch niemand etwas ahnte — wirklich so. Ein Eigenname wird auch immer genau so geschrieben. Dieser auch: Litfaß. Ernst Litfaß. Beruf: Drucker.

Auch HOF FRISÖR ist nicht nur ein Eigenname, sondern ein Markenname ebenso. Wird also immer mit „Ö“ geschrieben. Diese Ös waren zu Zeiten von Litfaß die erste Wahl.

Ein besonderer Ort

Unser Standort (seit 2000), an einer so berühmten Litfaßsäule, ist für uns — nachdem wir vorher zehn Jahre lang in einer Hinterhofgarage handwerkelten — also täglich ein ganz besonderer Ort: Leicht zu finden — unter acht grünen Bäumen und direkt an der Litfaßsäule.

Wir sehen uns. Genau dort/hier. Und — nicht alles was oben geschrieben wurde, ist von mir an den Haaren herbeigezogen worden. Lies es als: „Standortbestimmung einmal anders.“ oder „Was ich schon immer mal über Litfaß wissen wollte.“ oder „Die unglaublichen Geschichten der Geschichte um Litfaßsäulen herum.“ oder „Mein Frisör, Herr Litfaß und die Welt!“ …

Wer nun — immer noch, nach fast sieben Minuten Lesezeit — etwas mehr über Litfaßsäulen wissen möchte, benutzt eine Internet-Suchmaschine, schaut sich auf den Webseiten der Rundfunksender/Fernsehanstalten um, fragt Oma oder klickt mal hier drauf: